Die Geschichte, die dein Elefant sich erzählt
- braegger5
- 1. Mai
- 2 Min. Lesezeit
Aktualisiert: vor 2 Tagen
Dein Elefant liebt Geschichten. Wie alle Elefanten. Geschichten helfen ihm, das Leben zu verstehen, besonders dann, wenn etwas unklar ist oder sich unangenehm anfühlt. Wenn jemand plötzlich anders reagiert. Dich nicht beachtet. Einen unpassenden Kommentar macht. Oder du eine Prüfung vermasselt hast.

Dann fragt sich dein Elefant: „Was war das? Was bedeutet das für mich?“
Und weil er nicht gerne im Unklaren bleibt, erzählt er sich eine Geschichte.
„Er mag mich nicht.“ – „Ich bin langweilig.“ – „Sie macht das extra.“
„Mathe ist doof.“ – „Ich bin dumm.“ – „Der Lehrer ist gemein.“
Diese Geschichten fühlen sich oft stimmig an, weil sie schnell eine Erklärung liefern. Aber: Sie sind nicht unbedingt wahr. Und wenn wir sie nicht hinterfragen, setzen sie sich fest. Dann beeinflussen sie unser Verhalten, auch wenn sie gar nicht stimmen.
Warum erzählt sich der Elefant solche Geschichten?
Weil er Ordnung will. Weil ihm Informationen fehlen. Weil er unangenehme Gefühle wie Scham, Unsicherheit oder Angst vermeiden will. Weil er schwierige Gespräche scheut. Oder weil er die Wahrheit kaum erträgt. Deshalb schmückt er seine Geschichten gerne mit eigenen Annahmen aus.
Das ist normal – alle Elefanten machen das. Die Geschichten bringen kurzfristig Erleichterung. Aber langfristig können sie Beziehungen belasten, Konflikte festhalten oder dein Selbstbild verzerren.
Mut zur Wahrheit: Was dein Reiter tun kann
In solchen Momenten braucht dein Elefant seinen Reiter, also dich. Nicht als Kritiker, sondern als liebevollen Helfer.
Zuerst darf dein Elefant die Geschichte erzählen – ungefiltert, laut, wütend, traurig, voller Frust. Niemand muss das hören. Es ist nur für dich. Es ist okay, wenn du dich dabei selbstgerecht fühlst. Oder übertrieben. Oder verletzlich. Das ist deine erste Geschichte - sie zeigt, wie es dir wirklich geht.
Dann kommt der Reiter ins Spiel. Er stellt Fragen. Er schaut genauer hin. Er hilft, die Geschichte zu überprüfen – ganz ruhig, ganz ehrlich:
Was weiss ich wirklich über die Situation – und was denke ich mir nur dazu?
Was weiss ich über die anderen Beteiligten – und was könnte ich fragen, um mehr zu verstehen?
Was fühle ich wirklich – und was steckt hinter meiner Reaktion? Welche Rolle spiele ich selbst in dieser Geschichte?
So kannst du die Geschichte neu bewerten. Dieser Weg ist nicht immer angenehm. Aber wenn du hinschaust, wird vieles klarer. Denn zwischen dem, was du dir ausmalst, und dem, was wirklich ist, liegt ein Raum. Dort wartet Wahrheit – und der Mut, etwas zu verändern. Vielleicht ein Gespräch. Eine Frage. Ein neuer Blick. Oder die Entscheidung, es beim nächsten Mal anders zu machen.
Literatur
Brown, Brené (2016): Laufen lernt man nur durch Hinfallen. Wie wir zu echter innerer Stärke finden. München: Kailash Verlag
Brown, Brené (2017): Verletzlichkeit macht stark. Wie wir unsere Schutzmechanismen aufgeben und innerlich reich werden. München: Goldmann TB
Kahneman, Daniel (2012): Schnelles Denken, langsames Denken. München: Siedler Verlag