Scham und Verletzlichkeit – zwei wertvolle aber oft missverstandene Gefühle
- braegger5
- 3. Mai
- 3 Min. Lesezeit
Aktualisiert: vor 2 Tagen
Manchmal spürt dein Elefant ein unangenehmes Gefühl. Er wird ganz klein, will sich verstecken oder am liebsten verschwinden. Das ist Scham.
Scham ist ein wichtiges Gefühl. Sie hilft deinem Elefanten, sich an eine Gruppe anzupassen. Früher war das überlebenswichtig: Wer ausgeschlossen wurde, hatte wenig Chancen zu überleben. Auch heute ist dein Elefant ein soziales Wesen. Er will dazugehören und von anderen gemocht werden. Deshalb ist es gut, sich manchmal anzupassen. Und das Gefühl von Scham hilft dir dabei! Oft passiert das ganz automatisch – ohne dass du es bemerkst. Denn Scham fühlt sich unangenehm an. Und weil dein Elefant dieses Gefühl vermeiden will, passt er sich an.

Aber was passiert, wenn du das Gefühl hast, dich immer wieder verstellen zu müssen, um gemocht zu werden? Wenn dein Elefant spürt: „Das bin ich – aber das passt hier nicht.“ Dann übernimmt die Scham. Sie macht dich klein, unsicher oder hilflos. Und je mehr du dich anpasst, dich verstellst oder etwas versteckst, das zu dir gehört, desto mehr verlierst du dich selbst. Dein Elefant vergisst, wer er eigentlich ist, was ihm Freude macht und was ihm gut tut. Nach und nach denkt er vielleicht sogar: Ich bin nicht gut genug. Ich bin zu viel. Oder: Ich bin nicht liebenswert. Und das ist nicht gesund.
Jetzt braucht dein Elefant deinen Reiter – also dich – besonders dringend. Der Reiter hilft, gut auf den Elefanten aufzupassen. Es geht darum, eine Balance zu finden: zwischen sich anpassen und sich selber treu bleiben. Und das braucht Mut.
Denn wenn dein Elefant sich so zeigt, wie er wirklich ist – mit seinen Gedanken, Gefühlen und Wünschen – macht er sich angreifbar und verletzlich. Er fürchtet vielleicht, ausgelacht oder ausgeschlossen zu werden. Oft stellt sich dein Elefant dann auch vor, dass etwas viel schlimmer ist, als es wirklich ist. Er hat mehr Angst, ausgelacht oder ausgeschlossen zu werden, als es in Wahrheit wahrscheinlich passieren würde – oft, weil er das früher einmal so erlebt hat. Auch Verletzlichkeit fühlt sich also unangenehm an. Und doch ist genau das echte Stärke: Für sich selbst einzustehen!

Ein Leben im Spannungsfeld
Das Leben ist oft ein Spannungsfeld: Zwischen dazugehören und sich selbst bleiben. Zwischen anpassen und sich zeigen. Zwischen Rücksicht nehmen und sich treu sein.
Wenn dein Reiter spürt, dass dein Elefant vor lauter Scham ganz klein wird, kann er fragen:
Was steckt dahinter?
Geht es um Rücksicht – oder verliere ich mich dabei selbst?
Möchte ich mich anpassen – oder darf ich auch anders sein?
Dein Reiter hilft dem Elefanten, in diesem Spannungsfeld sicher zu bleiben. Nicht alles ist
entweder–oder. Es gibt viele Wege dazwischen.
Manchmal hilft es, mit jemandem zu sprechen, dem du vertraust. Denn wenn dein Elefant spürt, dass er nicht allein ist mit seinen Gefühlen, wird er mutiger. Scham wird kleiner, wenn sie geteilt werden darf – und der Elefant kann wieder freier atmen. Und das Schöne ist: Wenn du lernst, auf deine Scham und deine Verletzlichkeit zu hören, dann lernst du dich selbst besser kennen. Du merkst, was dir wichtig ist. Du erkennst, wer du bist. Und du kannst gezielt nach Menschen suchen, die dich so mögen, wie du bist – mit deinem ganzen Elefantenherz.
Denn genau das macht starke Verbindungen aus: Dort, wo du keine Maske tragen musst. Dort, wo dein Elefant sich sicher und angenommen fühlt.
Literatur
Brown, Brené (2024): Die Gaben der Unvollkommenheit. München: ARKANA Verlag
Brown, Brené (2017): Verletzlichkeit macht stark. Wie wir unsere Schutzmechanismen aufgeben und innerlich reich werden. München: Goldmann TB
Kahneman, Daniel (2012): Schnelles Denken, langsames Denken. München: Siedler Verlag
Zanotta, Silvia (2020): Wieder ganz werden. Traumaheilung mit Ego-State-Therapie und Körperwissen. Hogrefe Verlag, Bern.